Mutismus Tor verschlossen

Was ist selektiver Mutismus?

Erstarrtes Schweigen

Kinder mit selektivem Mutismus können eigentlich sprechen. Sie haben es gelernt, wie alle anderen Kinder auch. Zu Hause sprechen, singen, plappern sie im vertrauten Umfeld ganz normal und viel.

Verlässt ein Kind mit selektivem Mutismus seine vertraute Umgebung oder kommen weitere Personen hinzu, verstummt es plötzlich. Es wird von einer sozialen Angst übermannt, die es ihm unmöglich macht, zu sprechen. Soziale Kontakte lösen diese übermächtige Angst aus, es entsteht eine Art Fluchtreflex. Das Kind erstarrt, wird ganz steif, von Kopf bis Fuß, der Gesichtsausdruck wirkt wie eingefroren. Solch ein Kind ist nicht nur schüchtern!

Das Kind trifft in der Angstsituation keine bewusste Entscheidung, nicht mehr zu sprechen. Die Situation entscheidet darüber. Das Kind ist hilflos ausgeliefert. Auch Lachen, Weinen oder Husten können ihm in diesen Momenten unmöglich sein.

Unmöglich kann es für diese Kinder also sein, den Nachbarn im Hausflur Hallo zu sagen, anderen bekannten Kindern/Eltern auf dem Spielplatz eine Frage zu beantworten, sich in der Klasse zu Wort zu melden oder bekannte und/oder fremde Erzieher*innen um Hilfe zu bitten.

Selektiver Mutismus ist oft genetisch veranlagt. Die Ängste sind einfach da.

Wie fühlt sich mein hochsensibles Kind mit selektivem Mutismus?

Unsicher, hilflos, blockiert, verängstigt. Wer nicht spricht, ist einsam – weit weg von den anderen.

Dazu kann auch eine ungewöhnliche Trennungsangst gehören. Die Angst, alleine zu sein, alleine ins Klassenzimmer zu gehen, alleine bei Freunden oder Kindergeburtstagen zu bleiben, alleine zu schlafen.

Das Kind kann Angst davor haben, in einer fremden Umgebung alleine nicht zurechtzukommen. Eingewöhnung in Kita oder Schule und Hort können viel Zeit in Anspruch nehmen.

Auch die Sorge vor schlechten Träumen kann zum Thema werden. Das Einschlafen und Runterkommen kann lange dauern. Nachts können Albträume, eine Form des Nachtschrecks und eine Art Schlafwandeln die Nachtruhe stören.

Perfektionismus, zwanghaftes Verhalten, panische Ängste vor beispielsweise lauten Geräuschen oder ekligen Dingen, immense Entscheidungsschwierigkeiten, die Unfähigkeit mit Veränderungen umzugehen, können Begleiterscheinungen sein.

Was hilft Kindern mit selektivem Mutismus?

Unendlich viel Verständnis, Geduld, Humor und Optimismus.
Und die zum Kind passende Therapie. Diese zu finden, kann eine Herausforderung für die Eltern sein.

Es kann zudem sinnvoll sein, das Kind zunächst auch nonverbal kommunizieren zu lassen. Es also zeigen zu lassen, was es gerade nicht sagen kann oder Zeichen zu vereinbaren, mit denen es einer Absicht Ausdruck verleihen kann. So macht es sich verständlich, solange es noch zu viel verlangt ist, Dinge auszusprechen. Auch Kopfschütteln und Nicken sind nonverbale Reaktionen, die als ein Fortschritt anzuerkennen sind – als Kommunikation.

1. Zum Kind passende Therapie ohne Druck und Zwang

Selektiver Mutismus geht nicht von allein vorüber, ist vom Kind nicht allein zu bewältigen. Soziale Phobie oder Depression können später entstehen, falls nichts unternommen wird. Es braucht professionelle Unterstützung und das möglichst früh. Diese Kinder brauchen die Erfahrung, dass sie es schaffen können, zu sprechen. So wird es möglich, am ganz normalen Leben teilhaben zu können.

Die Kinder- und Jugendarztpraxis kann eine erste Anlaufstelle sein. Eine Praxis für Kinder-und Jugendpsychiatrie kann die Diagnose stellen. Im Anschluss folgt die Suche nach der passenden langfristigen Unterstützung, beispielsweise Logopädie, Reittherapie oder Psychotherapie. All das findet spielerisch, kindgerecht und einfühlsam statt und beruht darauf, eine vertrauensvolle Beziehung zum Kind aufzubauen und sein Selbstwertgefühl zu stärken. Das gelingt nur ohne Druck und Zwang zum Sprechen. Eine Kommunikation, zunächst im geschützten Therapieraum, wird Schritt für Schritt möglich. Was für ein enormes Erfolgserlebnis für das Kind!

2. Vertrauensperson in Kita und Schule

Es ist wichtig, das Umfeld über die Besonderheit des Kindes zu informieren und dafür zu sensibilisieren. In Kita und Schule sind Bezugspersonen wertvoll, denen das Kind vertraut. In ihrer Gegenwart hat es den Mut, zu sprechen.

Kommt ein Kind mit selektivem Mutismus in die Schule, kann es sinnvoll sein, Integrationsstatus im Hort bzw. sonderpädagogischen Förderbedarf im Unterricht zu beantragen und einen Nachteilsausgleich zu vereinbaren – für einen bestimmten Zeitraum. Was kompliziert klingt, ist ganz leicht. Die Lehrer*innen und Erzieher*innen wissen dadurch von der Angst des Kindes und behandeln es grundsätzlich ganz normal. In schwierigen Situationen aber nehmen sie Rücksicht auf seine Besonderheit. Sie verlangen nicht von ihm, zu sprechen.

Die mündliche Mitarbeit wird von Lehrerinnen und Lehrern zunächst nicht bewertet. Einen Vortrag halten oder eine Antwort vor der ganzen Klasse geben, ist dann kein Muss, solange das noch nicht klappt. Alternativ kann das Kind ein Referat oder eine Leseübung zu Hause vortragen, die Eltern nehmen es auf und schicken die Audio-Datei zur Bewertung an die Schule. Integrationserzieher*innen können Vertrauenspersonen sein und dem Kind auf einfühlsame Art und Weise dabei helfen, seinen Platz in der Gruppe zu finden, damit es nicht zum/zur Außenseiter*in wird.

Förderbedarf und Nachteilsausgleich sollten immer nur für einen begrenzten Zeitraum gelten, um regelmäßig zu prüfen, ob das Kind diese Hilfen noch braucht. So gibt es keinen Zwang und keinen Druck. Das Kind bekommt die Zeit, die es braucht, um seine Angst zu überwinden und kann so an einer ganz normalen Schule lernen.

Werdet laut für eure leisen Kinder!

Liebe Eltern, setzt euch für sie ein und lasst euch helfen, von erfahrenen Therapeutinnen und Therapeuten.

Zudem ist es die Aufgabe der Eltern, das Kind in bestimmten Situationen zu fordern, damit es über sich hinauswächst und in anderen Situationen zu beschützen, um es vor einem allzu großen Rückschlag zu bewahren – ein Drahtseilakt.

Lachen ist und bleibt dabei die beste Medizin, Humor kann so manchen Knoten lösen und der Angst auch mal den Schrecken nehmen.

Hinweis:
Diese Informationen sind nicht zur Selbstdiagnose geeignet. Sie ersetzen keinen Arztbesuch.
Es handelt sich um meine persönlichen Eindrücke und Erfahrungen aus meinem Familienleben und um zusätzlich recherchierte Details.
Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit.

Hat mein Kind selektiven Mutismus? – Der Test des Vereins StillLeben e.V. gibt eine erste unverbindliche Einschätzung in Bezug auf das Schweigen des Kindes oder Jugendlichen:
https://www.selektiver-mutismus.de/mutismustest

Dokumentation:
Die heilende Sprache der Pferde (Ausschnitt).

Luise ist 16 Jahre alt und Patientin des Vereins E.motion, dessen Arbeit im Fokus der Dokumentation steht. Luise litt unter Mutismus: Sie war komplett verstummt und kapselte sich von der Außenwelt ab. In der Pubertät mündete Mutismus bei ihr in Magersucht. Keine Therapie half, kein Mensch brachte Luise dazu, sich wieder zu öffnen. Erst die Pferde schafften es.